b) Alter Stil beim Verfassen Neuer Literatur
Wie oben erwähnt, hält sich Zhu Xiang an ein fünf- bzw. siebenzeiliges
Versmaß, achtet auf ein durchgängiges Reimschema und hat sein Gedicht
- auch inhaltlich - streng durchstrukturiert. Und nicht nur dies
mag den Leser überraschen und eher an die traditionelle denn an
die mod-erne Dichtung denken lassen. Wem kommt bei der Lektüre der
letzten Zeilen nicht das bekan-nte Gedicht Li Bo´s in den Sinn:
Vor meinem Lager glänzt des Mondes Schein.
Mir ist, als wärs auf dämmernder Erde der Reif.
Ich heb´den Kopf - blick´ in den hellen Mond.
Ich senk´den Kopf und bin in Gedanken daheim.
Zhu Xiangs Mondreise also eine Remineszenz an den alten lyrischen
Stil ? Diese Frage lässt sich schon mit Blick auf die für jedermann
verständliche, sich nicht an das klassische Chine-sisch (wen yan)
anlehnende Sprache verneinen. Vielmehr muss man das Gedicht wohl
in den Kontext der damaligen Diskussion um die Form der neuen Dichtung
und um die "erlaubten" stil-istischen Mittel stellen.
1917 erschien in der Zeitschrift Xin Qingnian ein Artikel von Hu
Shi, in welchem er sich zu Form und Inhalt moderner Dichtung äusserte
. Er stellte darin acht Leitsätze auf, an denen sich seiner Ansicht
nach moderne Dichtung orientieren solle. Vier davon möchte ich hier
zitieren:
· imitiere nicht die Alten
· verschliesse dich der abgedroschenen und formellen Sprache
· verwende keine Anspielungen
· verwende keine Parallelismen
Besonders ausführlich behandelt er die Thematik der Anspielungen,
klassifiziert in erlaubte und nicht erlaubte - wie z.B. alte Metaphern
mit einer festen, allgemeinverständlichen Bedeutung und Metaphern,
die nur ungenau und nicht von jedermann gleich übertragen werden
können - spricht von der geschickten und ungeschickten oder gar
sinnlosen Verwendung von Anspielungen. Seine langen, mit zahlreichen
Beispielen ausgeschmückten Ausführungen lassen den Leser etwas verwirrt
und ohne völligen Einblick in die Differenzierungen Hu´s zurück,
vermitteln gar den Eindruck, es handele sich weniger um einen festgefügten
theoretischen Ansatz als um eine Frage der persönlichen Einschätzung
Hu Shi´s. An einer Stelle schreibt Hu auf ein von ihm angeführtes
Beispiel Bezug nehmend dann auch: " Ich persönlich empfinde dies
als sehr ansprechend. Die Verwendung von Zhao Dun als Anspielung
ist sehr geschickt und genau." .
Stellt man nun diesen Ausführungen das Gedicht "Mondreise"gegenüber,
so erscheint es fast wie eine Antwort Zhu Xiangs an Hu Shi, eine
recht provokante Antwort gar (auch wenn zwischen der Veröffentlichung
des Artikels von Hu Shi und dem Erscheinen des Gedichtes ein Zeitraum
von immerhin acht Jahern lag).
Die schon fast exzessive Aneinanderreihung von Anspielungen erscheint
wie ein Plädoyer Zhu´s für die "Bedeutung jenseits der Worte" ,
dient aber vielleicht auch dazu, die Ausführun-gen Hu´s der Lächerlichkeit
preiszugeben. Nachdem der eine sämtliche Variationen abhandelt und
zu er- klären versucht, warum bestimmte Arten der Anspielung nicht
mehr angebracht seien, gibt der andere sich die grösste Mühe, in
einem einzigen Gedicht so viele Anspielungen wie möglich unterzubringen
und es gelingt ihm schliesslich auch noch, diese in vollendeter
Form zu einer gewissen inhaltlichen Dichte zu verknüpfen.
Nicht dass sich Zhu für eine Beibehaltung der alten Normen der
Literatur ausspräche, aber wichtiger, als sich neue formale Regeln
auszudenken war ihm wohl, neue Inhalte zu finden. Und eine Frage,
die sich in der damaligen Erneuerungsphase der Literatur sicherlich
nicht nur er gestellt hat, schwingt bei der Kritik an Hu mit: welchen
Sinn macht es, sich von alten Zwängen zu befreien, nur um sich neue
aufzuerlegen ? Die Antwort Zhu´s lässt sich unschwer erraten und
auch aufgrund dieser Einstellung sieht er sich sicherlich verwandt
mit dem von ihm ange-führten Freidenker Zhuangzi.
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